Gedankenkarussell: ein D:A BLOG

Gedankenkarussell:     ein D:A BLOG

„Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen.“ Das hatte mein Vater zu mir gesagt, als ich vor vier Jahren mit 31 wieder zuhause eingezogen war, nachdem ich eine verletzende Kündigung und das Scheitern meiner Ehe erlebt hatte. Damals hatten mich diese Worte tatsächlich aufgebaut. Das war nicht meine erste Bauchlandung gewesen. Seit meiner Pubertät verfolgten mich die Abstürze und das anschließende mühsame Wiederhochkämpfen. Es hatte nach diesem Mal ein bisschen gedauert, nicht zuletzt weil dieses Lebenstief mit der Pandemie zusammen fiel, aber ich hatte es dann doch tatsächlich wieder geschafft: eine neue Stadt, ein neuer Job, eine neue Wohnung, neue Freunde, das erste Mal im Leben so richtig unabhängig. Ich war glücklich und voller Hoffnung. Die Arbeit lief gut und ich erhielt viel Lob für meine beruflichen Leistungen.

Dann kam eine Magenschleimhautentzündung, Erschöpfung und ein Rückfall in die Depression. Grandioses Timing, denn ich sollte in Kürze den Arbeitgeber wechseln. Ich riss mich zusammen und auch im nächsten Job war man mehr als zufrieden mit mir und ich hatte das Gefühl endlich endlich angekommen zu sein, nachdem mein vorheriger Job nur eine Elternzeitvertretung gewesen war. Doch die Realität meiner Gesundheit holte mich erneut ein und als ich selbstsicher durch das immer gute Feedback das Gespräch mit meinem Vorgesetzten suchte, erhielt ich innerhalb einer Woche die Kündigung. Da ich mich noch in der Probezeit befand, ging plötzlich alles ganz schnell und ich fand mich erneut am Boden wieder. Das ist jetzt 1,5 Jahre her.

„Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen.“ Was für ein schönes Konzept. Das Problem ist nur mit jedem Hinfallen dauert es länger, bis man wieder auf die Beine gefunden hat. Verletzungen, frische oder unschön verheilte, wiegen schwer und machen einem das Hochstämmen nicht einfacher. Irgendwann ist die Krone auch so oft verrutscht oder vom Kopf gefallen, dass man sich fragt, wieso man dieses dämliche Ding überhaupt noch aufsetzen soll. Sie fällt ja sowieso immer wieder runter und unbequem ist sie auch. Und so geht es allmählich bergab mit dem Selbstwertgefühl.

Meine momentane Realität: ich lebe mit Freund und Hund auf 45qm, ich bin immer noch arbeitslos, das Arbeitslosengeld ist ausgelaufen und ich verbringe den größten Teil meiner Woche mit Binge-Watching. Glücklich bin ich damit nicht und nicht selten frage ich mich, wie es so weit kommen konnte.

Ich hatte Mal Großes von mir erwartet und andere auch. Als ich noch zur Schule ging, witzelte meine Familie nicht selten mit einem Doktortitel vor meinem Namen herum und meine Freundinnen nannten mich in der Abizeitung „Superbrain“. Ich war nie eine Streberin oder hatte herausragende Noten. Ich habe mich einfach nur immer schon für alles mögliche interessiert und habe an jeder Diskussion mit Freude und Eifer teilgenommen. Mir war immer klar, dass ich einmal studieren und „Karriere machen“ würde.

 

Studiert habe ich auch tatsächlich. Unter körperlichen Qualen (ja, tatsächlich! Psychosomatik macht’s möglich) habe ich meinen Bachelor in Politikwissenschaft in letzter Minute abgeschlossen und meinen anschließenden Master habe ich auch nach über 10 Jahren noch nicht beendet. Die wirklich coolen interessanten Jobs blieben mir immer verwehrt, weil mein Lebenslauf nie mit anderen mithalten konnte. Das mit dem „Karriere machen“ habe ich für mich bereits vor Jahren aufgegeben. Mittlerweile suche ich nach einem Teilzeitjob, der irgendwie die Rechnungen bezahlt, weil ich einem Vollzeitjob körperlich nicht gewachsen bin. Ich weiß nicht, wie vielen anderen es auch so geht wie mir. Ich bin mir sicher, dass es sehr vielen so geht. Das Problem mit psychischen Erkrankungen ist halt, dass niemand darüber spricht. Ich habe mir schon vor einigen Jahren angewöhnt offen über meine psychischen Erkrankungen zu sprechen und überwiegend positive Erfahrungen damit gemacht (abgesehen davon z.B. dass es mich meinen letzten Job gekostet hat).

Der Duden beschreibt ein Gedankenkarussell als einen kreisend und belastend empfundenen unaufhörlichen Ablauf des Denkens. Das Gedankenkarussell bestimmt mein Leben. Ständig zermartere ich mir meinen Kopf mit den immer selben Problemen. Dr. Google hat gesagt, dass Aufschreiben hilft. Also bringe ich meine Gedanken nun zu Papier räume ein bisschen auf in meinem Kopf, denn es ist mal wieder Zeit aufzustehen, die Krone zu richten und weiterzugehen. Und wenn ich es dann einmal aufgeschrieben habe, wieso nicht gleich mit anderen teilen? Dieser Blog gibt meine Erfahrungen als psychisch Kranke in Studium und Beruf wieder. Vielleicht findet Ihr Euch wieder und findet Trost in der Tatsache, dass Ihr nicht allein seid, oder Ihr findet Inspiration für Euren eigenen Weg, vielleicht gibt es Euch aber auch Einblicke in die Welt von Freund*innen, Kommiliton*innen oder Kolleg*innen und lässt sie Euch besser verstehen.